Fahrrad, Zelt & Abenteuer. 

Man merkt sofort, dass Tansania, im Gegensatz zu Malawi, ein (leicht) besser gestelltes Land ist. Die meiste männliche Bevölkerung fährt keine Fahrräder, sondern chinesische laute Motorräder, genauso bunt und kitschig. Die Vegetation nahe der Grenze ist üppig und wir können die Mangos, Bananen und Ananas direkt von den Bäumen pflücken. Auch die Menschen sind anders, kaum einer spricht Englisch (in Malawi tat dies sogar die Landbevölkerung) und ich muss sofort ein paar Wörter Swahili lernen. Die Tansanier sind schlitzohriger und man muss sich schon ein bisschen in Acht nehmen um nicht gleich in die Pfanne gehauen zu werden. Ich spreche aus Erfahrung. 

Die Tour kann beginnen: von der südlichen Grenze bei Malawi bis nach Daressalam sind es auf der direktesten Strecke (es gibt hier nur eine Straße) 900 Kilometer.

Wir fahren durch kleine Dörfer entlang der Straße. Es gibt hier nichts anderes als das Auf und Ab durch die Natur. Die Straße ist gut und anfangs gibt es noch wenig Verkehr. Dies ändert sich schlagartig als wir auf die Querstraße kommen, die nun bis nach Daressalam führen wird: hier stauen sich die Fahrzeuge und es ist laut und staubig. 90 Prozent der Verkehrsteilnehmer sind Lkws, von denen die meisten übervorsichtig neben mir ausscheren um mir nicht den Weg abzuschneiden. Ich habe in diesen Tagen wirklich eine innige Bindung zu diesen Verkehrsriesen aufgebaut: rücksichtsvoll und freundlich sind sie, im Gegensatz zu den Pkws oder Bussen. Ich glaube, sie sind einfach fasziniert, dass jemand diese Strecke per Fahrrad fährt und sie grüßen mit Blinker und Lichthupe jedes Mal beim Überholen während sie jubelnd aus dem Fenster hängen und mir den ausgestreckten Daumen zeigen.

Dies sind meine alltäglichen Erfahrungen, wenn ich da so Stunde um Stunde auf meinem Sattel in Tansania sitze. Die Gedanken schweifen manchmal ab und ich versuche, mich sofort wieder in die Realität zu holen, denn es gibt viel zu tun: auf die Beschaffenheit des Straße und des Asphalts achten, gibt es einen ordentlichen Seitenstreifen? und dann immer wieder der Blick in den Rückspiegel, schwenkt er aus oder doch nicht? Wie steil ist der nächste Anstieg? Brauche ich Schwung, den braucht man immer!

Schöne Überraschungen gibt es dann immer wieder. Ein Europäer, der sich irgendwie hierher verirrt und eine Lodge eröffnet hat, wie das Old Farmhouse Kisolonza: eine tolle riesengroße Anlage mit Luxusbungalows. Wir dürfen zelten, unter einer Strohpagode mit eigener Feuerstelle, das Abendessen wird uns im Kerzenschein auf unserer Veranda serviert, die Masseurin kümmert sich eifrig um uns, und wir sind mal wieder die einzigen Gäste.

Einmal sind wir in den Regen gekommen. So ein richtiger Regen! Denn nachmittags bewölkt es immer oder regnet für eine Stunde. Ich kann nie genau vorhersagen ob es wirklich regnen wird. Manchmal ist es nur teilweise bewölkt und auf einmal geht ein Regenschauer direkt aus dem sonnigen Himmel los, dazu reicht auch nur eine einzelne kleine Wolke. Auch dieses Mal war es so. Es hatte angefangen zu Nieseln und dann plötzlich kam es herunter. Da war es dann auch zu spät, das komplette, sehr professionelle Regen-Set von meinem Vater herauszuholen, das er mir mitgegeben hatte, wohl wissend in was für ein Abenteuer sich seine Tochter da einlassen würde. Nass war ich eh schon. Ich habe meine Hand nicht mehr vor dem Gesicht sehen können, meine Schuhe waren ein Schwimmbad und genauso, wie es plötzlich angefangen hatte, hörte es auch wieder auf, von einem Meter auf den anderen. Angekommen im erstbesten Hotel, das an der Straße lag, schien schon wieder, oder noch immer, die Sonne und die Kleidung war in einer halben Stunde wieder trocken.

Endlich gibt es, im Gegensatz zu den vorherigen Ländern in jedem Dorf kleine Teastalls, das sind winzige und ganz simple Restaurants, wo wir unser Frühstück einnehmen können, Chai mit Chapati: indischer Milchtee mit runden Fladenbroten. Das stärkt für den Tag und es ist jedes Mal eine tolle Erfahrung, in solch einem Restaurant zu halten, die erstaunten Blicke und das offene Lachen zu empfangen, während sie uns beobachten, wie wir vom Rad steigen, die Helme und die Handschuhe ausziehen und völlig durchgeschwitzt vom Fahren um eine Mahlzeit fragen. Die Frauen lachen mich an, oder aus, mit vorgehaltener Hand und die Kinder stehen mit offenem Mund einfach staunend da. Manchmal gebe ich ihnen Bonbons und dann grinsen sie und rennen freudejauchzend weg.

Die Hotels oder Guesthouses sind in diesen kleinen Ortschaften nicht nach unseren Standards zu beurteilen und werden auch nicht unseren Hygienevorschriften recht. Aber das macht nichts. Ich merke, dass ich, nach all meinen Reisen, in diesen Dingen recht abgehärtet bin. Und das muss man hier auch, um einigermaßen glücklich überleben zu können. Auf diese Art macht man sich das Leben einfacher und verschwendet keine unnötigen Energien mit Dingen, die man eh nicht ändern kann. Und siehe da: es funktioniert. Irgendwann ekel ich mich nicht mehr und schlafe wie ein Baby auch unter Decken, die kein Betttuch haben.

Nach einer Woche auf dem Land kommen wir nach Iringa, der ersten größeren Stadt, wo wir ein paar Tage Pause einlegen, ich kann im Internet arbeiten und einfach mal ausspannen. Ein gutes Hotel, die Sai Villa, mit richtiger warmer Dusche, funktionierendem Wlan und indischem Essen beherbergt uns. 

Der Markt in der Stadt ist wunderbar, es werden wenige Dinge verkauft, wir sind in Afrika und da gibt es nur das, was vor Ort angebaut wird, dafür diese aber in Hülle und Fülle: eine Zeile kleiner Fische, die nächste nur Reis, ganz präzise mit dem Lineal als dreieckige Haufen aufgetischt, dann Bananen, hunderte, tausende grüner Bananen, eine Reihe voll Mangos und dann ein paar Stände mit Kräutern und Gewürzen, meist indische Currys. Ich gehe hier durch, die Marktschreier-und Verkäufer schauen mich an, grüßen freundlich, ein bisschen neugierig und wollen ein Schwätzchen halten. Ich fühle mich nicht fremder als daheim auf dem Markt, oder anders: ich fühle mich vollkommen zu Hause, auch hier. Nach vielen Jahren des langen Reisens habe dieses Stadium erreicht, wo ich mich einfach wohl fühle dort wo ich bin, wo ich mich meiner sicher fühle. Das gibt mir die Freiheit reisen zu können und mich dabei stets wohl zu fühlen. 

Nach viertägiger Rast in Iringa starten wir mit Ziel Daressalam. Wir möchten so viele Kilometer wie möglich am Tag hinter uns bringen, um diese befahrene und recht uninteressante Stecke so schnell wie möglich hinter uns zu lassen, und um dann nach Sansibar starten zu können. Und auch hier ist die Fahrt wieder voller Überraschungen. Wunderbarer Überraschungen und intensiver Erlebnisse.

Am ersten Tag nach der Pause haben wir den ersten und einzigen Platten der gesamten Fahrt, im kleinen Ort hilft man uns mit afrikanischem Erfindergeist, sodass wir weiter fahren können. Eine der schönsten Abfahrten erwartet mich, kilometerweit geht es hinab durch eine tolle Berglandschaft und endet dann in einer tansanischen Steppe inmitten von Nationalparks. Völlig ausgelaugt, im Dunkeln erreichen wir endlich eine Lodge, die uns empfohlen wurde, die jedoch niemand zu kennen scheint (ganz abgesehen davon, dass in den kleinen Dörfern kaum jemand Englisch spricht). Kurz vor Aufgeben und Umdrehen, um ins letzte Dorf zurückzufahren und um nach einem Nachtlager zu suchen, sehen wir ein paar Lichter und haben nach 10 Stunden Fahrt das Crocodile Camp erreicht. Es ist der 24. Dezember, heiliger Abend. Uns empfängt ein netter junger Einheimischer mit einem Kind an der Hand, das fließend Deutsch spricht: das Camp gehört einem Heidelberger und dementsprechend werden wir hier versorgt. In einer schönen Hütte verbringen wir den Heiligen Abend als einzige Gäste, zu müde um noch etwas essen zu können. Ich gönne mir ein Bier und eine Wassermelone und schlafe selig und stolz ein. Am nächsten Morgen kann ich von meinem Fenster aus die Krokodile und Elefanten sehen, die im Fluss unter meiner Hütte baden. Fantastisch!

Von hier fahren wir nun jeden Tag weite Etappen, die Landschaft wird immer karger und flacher, die Straße immer schlechter, der Seitenstreifen verschwindet immer wieder, dafür nimmt der Verkehr mehr und mehr zu, wird lauter und dreister. Es folgt einer der härtesten Tage unserer Reise, vielleicht der strengste überhaupt. Die Straße geht über 60 Kilometer nur auf und ab, sehr steil und nimmer endend. Dazu ist es das erste Mal, dass mir in Afrika zu heiß wird, schon merkwürdig, aber es war eigentlich immer eher zu kühl, so hoch waren wir in den Bergen unterwegs. Nun erreichen wir jedoch die Küstenregion und die Hitze wird unausstehlich schwül und stehend. Unser Weihnachtsmittagessen besteht aus einem (letzten) Snickers unter einem Baum, dem einzigen Baum der ganzen Strecke (so kommt es mir vor), der ein wenig Schatten spendet. Diese Nacht müssen wir zelten, da die Lodge, die schöne Tan Swiss, voll ist (auch Afrikaner feiern Weihnachten!). Ich bin so fertig, dass ich während des Abendessens auf meinem Stuhl im Restaurant einschlafe.

Auf der Strecke nach Morogoro müssen wir den Mikumi National Park durchqueren. Fünfzig Kilometer geht es ungeschützt auf der Straße durch den Park, der rechts und links von den Weiden und Wäldern gesäumt ist, dem Zuhause der wilden Tiere, den Big Five. Es wird uns dringlichst davon abgeraten, diese Strecke mit dem Rad zu fahren, auch wenn, theoretisch, die Löwen um diese Tageszeit keinen Hunger mehr haben. Der Lkw, der uns mitnimmt, unsere Räder hinter der Fahrerkabine gut befestigt, muss dann tatsächlich alle paar Kilometer anhalten, um die Giraffen und Zebras mit ihrem stolzen Gang die Straße queren zu lassen, und ich bin froh im gesicherten Truck zu sitzen, auf meiner ganz persönlichen Safaritour und tolle Bilder schießen zu können.

In Morogoro dann eine weitere tolle Überraschung: die Simbamwenni Lodge. Wir schlafen in Safarizelten und dinieren fürstlich in einem reetgedeckten riesigen Freiluftwohnzimmer: mein verspätetes Weihnachtsessen stimmt mich selig.

Eine gute App, die mir in diesen entlegenen Gegenden, für die sogar Lonely Planet keine Tipps bereit hat, geholfen hat ist iOverlander: zum Zelten und Übernachten gibt es hier wunderbare Ratschläge.

Ein/zwei weitere Stopps sind es noch bis Daressalam, teilweise wieder in von Touristen nie besuchten, kleinen Orten an der Straße, wo Hotel ein Fremdwort ist. Zum Glück gibt es immer die Truckstopps, die ich so lieben und schätzen gelernt habe!

Auf den letzten 500 Kilometern vor der Küste kommen wir immer wieder durch die Massai-Dörfer: die Massai sind ein Kriegerstamm Ostafrikas, der recht unabhängig lebt. Die Menschen sind sehr groß und schlank und tragen ein Tuch um den Ober-sowie Unterkörper gebunden. An einem Gürtel sind ein großes Messer und ein Knüppel befestigt. Dazu tragen die meisten weiße Unterschenkelschoner und viel Schmuck. Alle sind rasiert, Männer wie Frauen. Die Massai haben jahrhundertelang gegen andere Völker gekämpft und immer gewonnen. Noch heute sind sie gefürchtet und leben ausschließlich von der Viehzucht. Außerdem sind sie Nomaden und bewegen sich also recht frei in Kenia und Tansania. Mit einem strahlenden Lächeln begrüßen sie mich stets und werfen mir neugierige Blicke zu. Fotos habe ich leider keine, die Kamera hier neugierig zu zücken war nicht angebracht. 

Letzte Etappe: Ziel ist Daressalam. Eigentlich führt der ganze Tag nur durch die Dörfer, die die Hauptstadt (den Regierungssitz und größte Stadt Tansanias) ankünden. Viel städtischer wirkt es sofort, Häuser anstatt Hütten, größere Autos (überhaupt Autos, ansonsten gab es nur Lastwagen auf den Straßen) und keine staunenden Gesichter mehr. Unsere Ankunft ist recht unspektakulär. Ein schnelles Foto vor den wenigen Hauptstadtgebäuden (es gab kein Ortsschild, leider) und dann ab ins vorgebuchte Hotel (auch eine Ausnahme). Hier sind sie allerdings sehr erstaunt darüber, dass wir erstens mit dem Fahrrad ankommen, und dass wir, zweitens, in Kapstadt gestartet sind.

Wir unternehmen schnell die logistischen Dinge und stechen am nächsten Morgen in See um in unseren wohlverdienten „Urlaub“ nach Sansibar zu fahren (siehe Text).

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