hinduistische tempel im indischen himalaya. Rishikesh, gaumukh, tungnath & badrinath.

Von Delhi aus reise ich nach Rishikesh, eine Stadt, die ich nur vom Namen her kannte und eigentlich hätte meiden wollen. Ich assoziierte mit ihr westliche Ökos in Korbstühlen sitzend und gesunde Obstsäfte schlürfend, amerikanische ehrgeizige Yogamädels, die mit ihren Turnmatten durch die Stadt stolzieren; und überhaupt erwartete ich mir viel, viel Tourismus. Und genau so ist es auch!

Meine Erwartungen werden bestätigt, jedoch bin ich auf eine latente Weise positiv angetan von dieser kleinen Stadt am Ganges. Rishikesh ist weltweit berühmt für ihre Yoga-und Meditationsschulen, die Beatles haben hier ihr bekanntes White Album geschrieben und dadurch einem neuen, spirituellen Tourismus die Türen geöffnet. Was mich hier so fasziniert, ist das selbstverständliche Miteinander der westlichen und der indischen Touristen; letztere kommen nach Rishikesh, um in den heiligen Tempeln zu beten und in den unzähligen Ashrams die antiken Methoden des Yogas und der Mediation zu praktizieren. Abends finden hier die pittoresken Pujas statt, öffentliche Gebete am Gangesufer im Sonnenuntergang. Die Brücken, die über den Fluss führen, sind von Dutzenden von Affen bewohnt, die mit den Menschen spielen, sie berühren und ein bisschen ärgern wollen. Es ist eine sehr romantische Stadt, ein kleines Stückchen Indien, wie man es sich bei uns eben so vorstellt. Ein turbulenter Haufen bunter Folklore, gemischt mit angenehmen Restaurants auf wunderschönen Terrassen über dem heiligen Fluss; Alkohol ist tabu und gesunde Allerweltsküche Mode.

Von hier fahre ich, gestärkt und gesättigt, weiter mit Bussen und Jeeps ins hochgelegene Garhwal-Gebiet, das wunderbare Land der heiligen Berge, Seen und Flüsse. Erste Station ist Gangotri, eine kleine Stadt am Fuße des Himalayas, auf 3.100 Metern gelegen. Hier befindet sich einer der vier heiligen Tempel, die von hinduistischen Pilgern mindestens einmal im Leben besucht werden. Eine einzige Straße macht diesen Ort aus, bestückt mit unzähligen, simplen Restaurants und an ihrem Ende der Tempel, großflächig und völlig überlaufen. Es ist kalt und feucht und ich ziehe mich in mein Hotelzimmer zurück nachdem ich, gegen meinen Willen mir einen teuren „Permit“ habe ausstellen lassen müssen um am nächsten Morgen aufsteigen zu dürfen, samt Führer, der natürlich extra gezahlt werden muss. `Anders geht es nicht`, so die hohen indischen Offiziere!

Im Morgengrauen geht es los, es ist eine einfache Wanderung von ein paar Stunden, 20 Kilometer leicht steigend durch das Flusstal des Ganges. Unser Ziel ist Gaumukh, der Ort, an dem der höchstverehrte indische Fluss entspringt: dort wo der Ganges aus dem Gletscher fließt. Die Ebene, auf der wir halten und die unser Ziel für die Nacht ist, präsentiert sich offen und weit mit Blick auf die ganz großen Berge. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich den Himalaya aus der Nähe sehe, das Dach der Welt, und ich bin geblendet von seiner Schönheit. Ich setze mich und schaue einfach nur, beobachte stundenlang die schneebedeckten Gipfel und horche in die Stille hinein bis mich die Nacht und das Schellen der Glocken zum Abendgebet hineinbitten.

Meine Herberge ist ein Ashram, ich bin hier die einzige Frau und die einzige Ausländerin sowieso. Meine Mitbewohner sind Pilger, viele indische Touristen aber auch richtige Wallfahrer, langbärtig und mit Dreadlocks, barfüßig, nur mit Lendenschurz bekleidet. Ich frage höflich, ob ich ein eigenes Zimmer bekommen kann und es wird mir gestattet. Zimmer ist eigentlich zu viel gesagt, es ist eine Zelle mit einer Matratze auf dem Boden und einer Decke, die so viel wiegt, dass mir die Füße wehtun, geschweige denn dass ihr Geruch erträglich wäre. Ich bin froh, dass ich in Rishikesh einen ordentlichen Schlafsack gekauft habe und dieser mir hier zu einem Zuhause wird.

Am Abend werden Matten auf dem Boden ausgelegt und nachdem ein langes Gebet gesprochen wurde, essen wir gemeinsam im Schneidersitz auf dem Boden hockend. Es gibt Linsen, Reis und Gemüse, wie immer. Diesmal allerdings nicht auf Keramik oder Plastik sondern auf gewebten Grastellern, die dann, nach dem Gebrauch, einfach in die Natur geworfen und von den Tieren gefressen werden. Wichtigstes Detail ist jedoch das fehlende Besteck und ich ertappe mich dabei, nicht mehr zu wissen wie man das macht: mit den Händen essen. Die Inder haben diese wunderbare Gabe, aus allem, was sich auf dem Teller befindet, mit der rechten Hand schöne  Bällchen zu formen, sei das Gericht noch so flüssig und diese intakt zum Munde zu führen ohne sich dabei zu bekleckern. Ich dagegen muss erst eine der natürlichsten und banalsten Gesten der Menschheit lernen (am Ende meiner fünfmonatigen Bergtouren durch den indischen Himalaya habe ich die indische Perfektion jedoch fast erreicht).

Am nächsten Morgen mache ich mich, gemeinsam mit meinem Führer, auf den Weg, den Gletscher Gaumukh aus der Nähe zu sehen, diesen zu umrunden und ihn zu besteigen. Es ist ein herrlicher Sonnentag und wir überholen leicht die indischen Männergruppen, die sich mit Handschuhen, Wollmützen oder Ohrenwärmern bei 25 Grad Hitze den Berg hochschleppen, unentschlossen herumstampfen und nicht so recht wissen, ob hinauf oder lieber doch nicht.

Nach gar nicht so einfachem Anstieg erreichen wir die Hochebene Tapovan, auf 4.500 Metern Höhe. Es breitet sich vor mir eine Weite wie eine Steppe aus, riesengroß und traumhaft schön. Ich befinde mich inmitten eines Blumenmeeres, durchronnen von kleinen Bächen, die wir immer wieder überqueren und ich meine „Rivercrossing-Blockade“ zu überwinden versuche. Ich hüpfe von Stein zu Stein, verlasse mich auf meine Vibram-Sohlen und wage irgendwann den großen Sprung. Ich bin so begeistert über mich selbst, dass sogar mein betagter Führer, mit dem ich mich nur in Zeichensprache verständigen kann, gerührt ist und mich im Zeichen des Lobes drückt.

Was ich hier oben erleben darf ist allerdings etwas vollkommen anderes; es ist eine tiefe spirituelle Erfahrung. Seitdem wir den Grat der Ebene, der hinunter zum Gletscher führt, überschritten haben und uns hier oben befinden, habe ich ein Gefühl der absoluten Glückseligkeit. Ich spüre die Energie, die aus dem Boden in meinen Körper strömt und verstehe endlich, warum der Ganges in Indien und im Hinduismus als DER Heilige Fluss benannt und verehrt wird. Es ist diese Energie, die den Fluss zum Laufen bringt, die ihm das Leben einhaucht und ihm die Heiligkeit schenkt. All dies spielt sich vor der überwältigenden Spitze des Shiveling ab, 6.500 Meter hoch, mit ewigem Eis bedeckt und direkt vor mir emporragend. Dieser Gipfel wird als das Linga von Shiva bezeichnet, ein Phallussymbol, das die Form des Absoluten hat, ohne Anfang und ohne Ende.

Hier oben treffe ich einen Mönch, der das Gelübde der Stummheit gewählt hat und hier seit drei Jahren in einem selbstgebauten Verschlag aus Steinen und Planen wohnt. Er lebt von kleinen Spenden, die ihm die wenigen Touristen, die es bis hier hoch schaffen, zustecken; die Träger aus dem Dorf bringen ihm gelegentlich Essen und die nötigsten Dinge. Wir haben ein langes und intensives Gespräch (ich rede und er schreibt), er strahlt eine erhabene Ruhe aus und ich verstehe zutiefst, warum er gerade hier oben seine Zuflucht in die Abgeschiedenheit gesucht und gefunden hat.

Zurück in Gangotri mache ich mich auf den Weg um den nächsten heiligen Tempel zu besichtigen. Mein Ziel istChopta, das ich nach drei langen Reisetagen mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreiche. Abenteuerlich sind diese Reisen, voll, laut, stickig und ein bisschen gefährlich. Ich übernachte in kleinen Städten, die den Eindruck machen, als hätten sie noch nie eine westliche Frau gesehen, ich esse alleine, schlafe alleine, rede mit fast niemandem und genieße meine Einsamkeit.

Chopta besteht aus einer Bushaltestelle mit einem kleinen Hotel und vielen Pferden, die so manch müden indischen Touristen hoch auf den Berg zum Tempel Tungnath tragen. Am nächsten Morgen, zum Sonnenaufgang, mache ich mich auf den Weg. Es ist ein einfacher und gepflasterter, wenige Kilometer langer Pfad durch wunderschöne Landschaften bis hinauf zum „Herrn der Gipfel“, wie Tungnath heißt. Es ist der höchste Shiva gewidmete Tempel Indiens, tausend Jahre alt und auf 3.700 Metern Höhe liegend. So früh am Morgen ist noch kaum jemand hier und ich genieße den beeindruckenden Blick über die weißen Spitzen des Himalayas.

Ja! Da bin ich jetzt wirklich, mitten im Himalaya und kann es kaum fassen, so schön ist es! Wieder verspüre ich Energie, die von diesem heiligen Ort ausströmt, ich setze mich nieder, oben weit über dem Tempel auf einen kleinen Grat. Viele Steinmännchen sind hier aufgebaut und ich suche mir eine Stelle, von wo aus ich die Berge, die Täler und den Himmel gut sehen kann. Hier verweile ich eine ganze Zeit lang und versuche der Natur zuzuhören, meinen Kopf frei zu machen von jeglichen Gedanken. Dann schaffe ich es endlich in einen Zustand der Ruhe zu kommen und plötzlich spüre ich mit einem bisher nicht gekannten Sinn, dass ich ein und dasselbe bin wie die Steine um mich herum. Wir sind aus derselben Materie gemacht, wir sind Dasselbe! Ich schaue mich um, sehe die Adler, die ihre Flügel über mir mit großem Getöse schlagen und habe eine sanfte, liebliche Erkenntnis: die Natur, die Realität, ich… es ist alles dasselbe! Ich sehe keine Unterschiede mehr, ich sehe nur noch Einheit!

Von Chopta reise ich weiter, Richtung Badrinath, ein weiterer hinduistischer Tempel, der als der meist besuchte Wallfahrtsort Indiens gilt. Erreichbar nur in den sechs Sommermonaten ist es ein großer schäbiger Ort auf 3.400 Metern; die Moderne hat sich hier Platz geschaffen, unästhetischer Zement in weiten Straßenzügen wechselt sich ab mit brach liegendem Land. Der Tempel ist jedoch sehr schön, bunt, voll und aufwendig verziert. Er ist Vishnu gewidmet, von dem man sagt, er hätte hier eine Zeit lang meditiert, in der Kälte ausharrend und beschützt von seiner Frau Lakshmi in Form eines Dattelbaums. Die ersten Aufzeichnungen des Badrinath-Tempels gehen zurück in die Vedazeit, um 1.000 v. Ch. Vor dem Tempel sitzen die Bettler mit ihren kleinen Schüsseln, in die man die Münzen hineinwirft, es ist ein unaufhörlicher Singsang und schepperndes Geklingel. Voll ist es hier und mühselig durchzukommen; ich bin froh, am nächsten Morgen in das nahe gelegene Mana-Village zu wandern.

Hier finde ich eine noch fast in Takt gehaltene, traditionelle Lebensweise vor: ein keines Dorf mit alter Architektur und vielen Kindern, die auf der Straße spielen. Sie wollen Bonbons oder Geld, aber das ist normal.

In dem kleinen Ort gibt es eine alte Grotte, von der man sagt, dass Vyasa hier das Mahabharata geschrieben hat, den größten und bedeutendsten indischen Epos. Ich gehe weiter und komme auf dem Weg zu einem hochgelegenen Wasserfall an einer Brücke vorbei: ein riesiger Stein hat sich sanft und beschützend über den Fluss gelegt, diese natürliche Architektur grenzt an Perfektion. Ohne zu wissen, was es mit ihr auf sich hat, fasziniert sie mich.

Später erfahre ich dass die Legende besagt, Bheem, der Stärkste der Pandava-Familie, Protagonisten des Mahabharatas, hätte diese Brücke gebaut. Nun verstehe ich wieder ein Stückchen mehr hinduistischer Kultur und erfreue mich daran, diese spirituellen Dinge so tief in meinem Herzen spüren und verinnerlichen zu können.

Bevor ich abreise kaufe ich mir an einem Stand noch einen kleinen goldfarbenen Ring für ein paar Cent und stecke ihn mir an meinen rechten Ringfinger im Zeichen des geschlossenen Ehebundes. Ich habe in Indien immer wieder die Erfahrung gemacht, dass man als erstes von den Menschen gefragt wird, egal ob von Mann oder Frau, wie alt man ist, ob man verheiratet ist und ob man Kinder hat. Das ist hier einfach so, es ist keine unhöfliche Geste sondern ein Ritual, das zum Kennenlernen dazu gehört. Auf meine verneinenden Antworten und mein fortgeschrittenes Erwachsenenalter reagierten sie verblüfft und fragten mich sehr forsch was denn wohl schief gelaufen sei in meinem Leben. Also, von nun an: Ehering, Ehemann, Kinder sind in Planung und überhaupt bin ich ja noch gar nicht so alt! Im Nachhinein war dies eine sehr weise Entscheidung. Ich habe keinerlei Annäherungsversuchen standhalten müssen, jeder sah meinen Ring und hielt sich zurück. Und mir gefällt er mittlerweile richtig gut.

Weiter geht´s, noch tiefer hinein in den indischen Himalaya auf der Suche nach der heiligsten Kultstätte der Sikhs, dem Hem Kundh-Lake und auf den Lord Curzon Trail.

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