Von Kuba in die westfälische Provinz.
COVID-Unreisen.
April 2020

„Guten Tag und Hallo meine Damen und Herren, der Kapitän und die Besatzung begrüßen Sie ganz herzlich an Bord Ihres heutigen Condor-Fluges. Wie Sie alle wissen, befinden wir uns momentan in einer nie dagewesenen Ausnahmesituation: Dies ist vorerst der letzte Flug von Havanna nach Deutschland und die Situation, die Sie zu Hause erwartet, ist um Einiges dramatischer als die noch recht gelassene Situation hier auf Kuba. Deshalb haben wir auch an Bord Änderungen vornehmen müssen, unter anderem im Service, der den Umständen entsprechend angepasst wird: Sie bekommen daher nur Einwegpäckchen, keine warmen Getränke, dafür können Sie Bier und Wein direkt aus der Flasche trinken… etc.“, so in etwa die recht befremdliche Durchsage des damals noch unmaskierten Bordpersonals auf meinem Flug Havanna-Frankfurt am 21. März 2020.

Seit diesem besagten Wochenende sitze ich hier, in meinem Kinderzimmer in Gütersloh und warte auf die internationalen Reiseentwarnungen um wieder in meine Wahlheimat Italien einreisen und um eventuell wieder meiner Arbeit nachgehen zu können. Aber ich fange besser ganz von vorne an.

Ich war seit zirka eineinhalb Monaten in der Karibik, seit Anfang Februar, wo ich als Wanderführerin arbeite. Ja, man kann in der Karibik nicht nur baden und faulenzen, sondern auch wandern. Gut sogar. Geplant war erst eine zweiwöchige Wander-und Segeltour durch die Kleinen Antillen, dann ein ganzer Monat Kuba: Rundreisen mit viel Kultur, Geschichte, Natur, den legendären Zigarren und natürlich dem guten kubanischen Rum. So war es geplant, und dann kam doch alles ganz anders.

Als wir im Februar auf unseren kleinen schicken Segelbooten in den Antillen saßen, da war die Welt noch (fast) in Ordnung. Wir tuckerten von Insel zu Insel über türkis-transparentes Wasser, ließen uns die wärmende Wintersonne ins Gesicht scheinen, tranken (zuweilen zu viel) Rum-Punch, gingen hin und wieder von Bord um einen Vulkankrater im Regenwald zu besteigen und manchmal, muss ich ehrlich zugeben, fixierten wir alle einfach nur eisern den Horizont um dieser üblen Seekrankheit entgegenzuwirken. Nun gut, das Paradies war nahezu perfekt, wenn da nicht ab und an diese Nachrichten über Corona auf mein Handy geflattert kamen; erst war es im entfernten China, dann plötzlich in Europa und schließlich vor allem in Italien.

Wir dachten uns nicht viel dabei, scherzten sogar darüber und meine Gäste genossen ihren Segeltrip dadurch vielleicht gerade noch mehr, in einer latent weisen Vorahnung, dass dies für einige Zeit wahrscheinlich ihre letzte Reise sein würde. Aber die Lage spitzte sich plötzlich zu und ich persönlich wurde nun doch etwas nervös, da sich mein Leben in Norditalien abspielt, wo meine Freunde auf mich warten und wo mein Zuhause ist.

Ich habe es dann mit Mühen sogar noch geschafft, nach Kuba einzureisen. Es war der 7. März und am 8. hat Italien seine gesamten 60 Millionen Einwohner unter Hausarrest gestellt. Auch meine Gäste sind, am Tag drauf, noch alle gut auf Kuba angekommen, der „europäischen“ Epidemie sozusagen entflogen und wir freuten uns auf eine unbeschwerte Reise. Wir verdanken es einzig uns allein dem kubanischen Volk, dass wir unsere Tour noch fast frei von Sorgen und Einschränkungen genießen konnten. Ihre Unbeschwertheit, Herzlichkeit und Gastfreundschaft hat alles andere in den Schatten gestellt.

Nach ein paar Tagen wurde dann leider auch der erste Corona-Fall auf Kuba gemeldet; wir kamen gerade in Bayamo an, etwa auf halber Strecke unserer Tour. In der Hotellobby empfing uns ein Ärzteteam: Man hatte ein schönes Sofa bereitgestellt und wir wurden aufgefordert, in Dreiergruppen Platz zu nehmen um Fieber zu messen. Mit Quecksilber-Thermometern, wie bei uns anno dazumal. Das dauerte seine Zeit bei uns 15 Leuten. Der Arzt musste selber schmunzeln, und raunte mir zu, dass sich Kuba bis zur nächsten Epidemie auch die modernen Thermometer anschaffen würde. Sprüche wie diese sind Zeuge der kubanischen Aufgeschlossenheit und Selbstironie, die das Land gerade so reizvoll machen.

Und nun häuften sich Zwischenfälle, die ich auch meinen Gästen nicht mehr verschweigen konnte. Ein paar Restaurants und Museen schlossen ihre Pforten, die Kinder wurden ins Haus gerufen, wenn wir „Extranjeros“, also die Ausländer vorbeikamen und die Stimmung wurde zunehmend angespannt. Gut ging es uns noch in der Natur, in den tiefen Wäldern der Sierra Maestra, wo einst Fidel und „Che“ Guevara ihre Revolution gewannen.

Ich verhängte eine, nicht ganz ernst gemeinte Internetsperre, wenigstens meine Kunden sollten noch einigermaßen unbeschwert über diese Zeit kommen, ich würde ihnen schon jeden Morgen die wichtigsten Neuigkeiten zukommen lassen, gründlich gefiltert. Und sie hielten sich dran, alle spürten, dass da etwas Großes in der Luft lag, aber der Wunsch war offenbar, wenigstens noch diese paar Tage wie in einem Traum weiterleben zu können, einfach so als ob nichts wäre. Und das haben wir auch geschafft. Fast. Für meine Gäste ging es ganz normal an ihrem Abreisedatum wieder zurück, für mich leider viel zu früh. Meine zweite Tour wurde gestrichen und ich bin auf den letzten Rückreise-Flieger nach Deutschland mitgebucht worden.

Nach Norditalien einzureisen, war in diesem Moment nicht ratsam, und im Nachhinein die einzig gute Entscheidung. Also setzte ich mich in Frankfurt in den Zug und fuhr durch ein Geister-Deutschland ins tiefste Westfalen, nach Gütersloh, in meine Heimat. Meine Eltern holten mich am leeren, so vertrauten kleinen Bahnhof ab, wo der noch leerere Zug hielt. Ich stieg als Einzige aus. Wir umarmten uns nicht einmal und hielten uns auch im Haus für die ersten Tage auf Distanz, so weit das ging. Schon sehr merkwürdig. Aber irgendwie gewöhnt man sich ja an alles und so gingen die Tage ins Land. Es sind jetzt sechs Wochen, die ich wieder in meiner alten Heimat bin, wohlbehütet wie früher, im Hause meiner Eltern, die sich um mich kümmern und ich mich um sie.Meine geplanten Reisen für diese Wochen sind allesamt abgesagt worden. Ich hätte das Frühjahr eigentlich auf Sizilien verbracht, wo ich Touren auf den Liparischen Inseln führe und der Sommer, und somit für mich die Alpen, steht noch in den Sternen. Es gibt zur Zeit noch keine Flüge nach Bologna und von daher warte ich hier in Westfalen, bis sich die Situation wieder etwas lockert.

In der Zwischenzeit denke ich natürlich, nicht ganz sorgenfrei, über meine, nicht nur nahe Zukunft nach. Hat mein Beruf dieses Jahr überhaupt noch eine Chance? Darf ich diesen Sommer nochmal mit einer Gruppe einen Gipfel erklimmen? Im Matratzenlager auf der Hütte übernachten? In einem gemütlichen Hafenrestaurant zu Mittag essen? Es ist müßig, sich darüber Gedanken zu machen, wie wahrscheinlich für so viele andere auch, die in Metiers beschäftigt sind, die momentan auf Eis liegen oder für Freiberufler, wie ich, die einfach nichts zu tun haben.

Deshalb versuche ich das Beste draus zu machen, schreibe viel und schmiede an Plan B und C. Und einer davon ist genau dieser: Andere Menschen durch Erzählungen meiner Erfahrungen auf Reisen mitzunehmen, Träume zu erschaffen und vielleicht den einen oder anderen auf noch unentdeckte Ziele zu bringen. Denn ich bin zuversichtlich: Wir werden wieder reisen können, vielleicht und hoffentlich ein wenig anders, bewusster und stiller, aber wir werden wieder reisen.

Und bis dahin genieße ich Gütsel.

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